Synonyme
Arm-Plexus-Schaden, Arm-Plexus-Lähmung, Plexus brachialis Läsion, traumatische schlaffe Lähmung (Brachial Plexus Lesion, Brachial Plexus Palsy)
Definition
Die traumatische Arm-Plexusläsion ist eine durch äußere Gewalteinwirkung entstandene Schädigung des Arm-Plexus mit konsekutiven unterschiedlich ausgeprägten Arm-Lähmungen.
Epidemiologie, Ätiologie, Pathogenese
Die traumatischen Schädigungen des Plexus brachialis werden zu etwa 95% durch Verkehrsunfälle und hierbei insbesondere durch Motorradunfälle (etwa 75%) verursacht.
Kompressionschaden
- Primärstämme des Plexus brachialis liegen auf 1. Rippe, werden von der Klavikula überkreuzt
- Kompressionschaden durch ein auf die Schulter einwirkendes Trauma
Wurzelausrisse
- wenn die Schulter durch ein stumpfes Trauma in ihrer Bewegung gestoppt wird, sich der Kopf aber aufgrund der kinetischen Energie weiterbewegt, erhöht sich der Abstand zwischen 1. Rippe und Intervertebralkanälen, wodurch es zu Wurzelausrissen kommen kann
- Traktion in Längsrichtung auf die Weichteile (Oberarmfraktur, Schulterluxation)
Direkte Plexusverletzung
- Frakturen (Querfortsatz, Clavicula, Schuss- und Stichverletzungen, operative Schädigung)
Strahlenschaden
- durch Radiatio
Die interdisziplinäre Behandlung erfolgt phasenabhängig (Tabelle 3). Erforderliche neurochirugische Operationen sollten am besten im dritten und vierten Monat, auf jeden Fall aber innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall, erfolgen (Phase III), weil die Ergebnisse nach späterer Versorgung deutlich abfallen. Die Priorität bei neurochirurgischen Rekonstruktionen richtet sich nach der angestrebten Funktion:
- N. musculocutaneus - M. biceps
- N. axillaris - M. deltoideus
- N. suprascapularis – Rotatorenmanschette
- N. radialis, N. medianus, N. ulnaris - distale Armnerven werden in zweiter Linie adressiert
Die Reinnervation nach neurochirurgischer Operation ist von diversen Faktoren abhängig und deshalb nicht einheitlich:
- besseres Ergebnis bei Operation innerhalb von 6 Monaten
- Neurolyse: hohes Maß an Funktionsrückkehr, wobei eine Differenzierung zwischen Spontanregeneration und Operationsergebnis nicht möglich ist
- Nerventransplantation: besseres Ergebnis bei kürzeren Transplantaten, Abhängigkeit vom proximalen Anschluss, Transplantation auf N. musculocutaneus und N. axillaris etwa 60%
- Neurotisation: Anschluss an Intercostalnerven 30% - 60%, N. phrenicus bis 85%, C7 der Gegenseite etwa 70%
Wenn ein nicht mehr besserungsfähiger Endzustand nach Ausschöpfung aller konservativer und neurochirurgischer Maßnahmen eingetreten ist, können funktionsverbessernde Eingriffe (Muskel-Transpositionen, Arthrodesen, Korrekturosteotomien) durchgeführt werden.
Schulter
An der Schulter entsteht bei traumatischen Arm-Plexus-Schäden lähmungsbedingt häufig eine Schulterinstabiltät mit kaudaler Humeruskopfsubluxation (Teilverrenkung Oberarmkopf), eine eingeschränkte bis aufgehobene Abduktion (Abspreizung) und Anteversion (Vorführung). Es ist keine Kontrolle mehr über den Arm vorhanden, eine Positionierung im Raum ist nicht mehr möglich. In diesen Fällen kann durch einen Trapezius-Transfer (Verlagerung des Trapez-Muskels) oder eine Schulterarthrodese (Vereinigung des Oberarmkopfs mit Gelenkpfanne und Schulterdach) eine Steigerung der aktiven Abduktion und Anteversion auf bis 60° erreicht werden. Die Kontrolle über den Arm wird wiedererlangt.
Der vom Nervus accessorius versorgte Musculus trapezius dient als teilweiser Ersatz für die vom Ausfall der Wurzeln C5 und C6 funktionslosen Musculi deltoideus und supraspinatus. Die distalen 2/3 des Musculus trapezius werden dazu von der Spina scapulae (Knochenvorsprung am Schulterblatt) und der Klavikula (Schlüsselbein) unter Erhalt seiner Insertion am Akromion (Schulterdach) abgelöst. Das Akromion wird von der Spina scapulae und der Klavikula abgetrennt, nach Anfrischung seiner Unterfläche zum proximalen Humerus knapp distal des Tuberculum majus verpflanzt und dort mit Schrauben befestigt. Nach der Operation sind ca. 40° aktives seitliches Anheben und Vorführen des Arms möglich.
Schulterarthrodese: Das Schultergelenks wird freigelegt und die späteren Kontaktflächen von Glenoid (Gelenkpfanne), Oberarmkopf und Akromionunterfläche vorbereitet. Nach Einstellung der gewünschten Versteifungsposition (20° Abduktion, 30° Anteversion, 40° Innenrotation) wird der Humeruskopf in Kontakt mit dem Akromion und dem Glenoid durch eine Platten- oder Schrauben-Osteosynthese fixiert. Die Beweglichkeit des Arms nach Schulterarthrodese wird durch die Aufhängemuskeln des Schulterblatts hervorgerufen. Aus einer Bewegung des Schulterblatts resultiert entsprechend eine Bewegung des Arms (ca. 60° seitliche Abspreizung und Vorführung. Sind die Schulter-Außenrotatoren gelähmt ist die Außendrehung in der Schulter nicht mehr möglich.
Die Ellbogenbeugung kann durch das Anschlagen des Unterarms am Brustkorb behindert werden. Durch eine Außenrotationsosteotomie des Humerus (Drehoperation Oberarmknochen) wird der Rotationssektor zugunsten der Außendrehung verschoben. Mit dieser Operation wurde das Anschlagen des Unterarms am Brustkorb bei Ellbogenbeugung regelmäßig beseitigt, so dass die Hand ungehindert in die Gesichtsregion geführt werden konnte. Ein ebenfalls gutes funktionelles Ergebnis wird in diesen Fällen durch die Muskelverlagerung (Latissimus, Teres major) erreicht.
Ellbogen
Durch Lähmung der Ellbogenbeugemuskeln in mehr als 2/3 der Fälle kommt es entsprechend häufig zum Verlust der aktiven Beugefähigkeit im Ellbogengelenk mit daraus resultierenden Problemen im Alltag. Zur Wiederherstellung der Ellbogenbeugung stehen, abhängig von individuellen Lähmungsmuster, verschiedene Spendermuskeln für eine Verlagerung zur Verfügung. Folgende Muskel-Transpositionen kommen zur Anwendung:: Trizeps-Bizeps-Transfer, Verlagerung Unterarmbeuge oder -streckmuskeln (Steindler-Procedere), Latissimus-Transfer, Pektoralis- und Teres major - Transfer. Durch alle angeführten Operationen gelingt es die Ellbogenbeugung mit unterschiedlichem Kraftgrad und Ausmaß (90° bis 140°) zu verbessern, so dass die Gebrauchsfähigheit des Arms, insbesondere durch die gesteigerte Einsatzfähigkeit der Hand, zunimmt.
Hand
Die Hand- und Fingerstrecker sowie die Abspreizmuskeln des Daumens sind bei 2/3 der Patienten ausgefallen. Durch diese Muskellähmungen entsteht eine Fallhand, die Greiffunktion der Hand ist nicht mehr gegeben. In diesen Fällen führt die Verlagerung von Unterarmbeugemuskeln auf die Sehnen der Fingerstrecker (Transposition Flexor carpi ulnaris auf Extensor digitorum communis) und des Daumenstreckers (Transposition Palmaris longus auf Extensor pollicis longus) zu einer Wiederherstellung der aktiven Handstreckung und Daumenabspreizung mit Beseitigung der Fallhand sowie Verbesserung der Greiffunktion. Wenn keine Muskeln für eine Verlagerung zur Verfügung stehen, besteht die Möglichkeit eine günstige Handgelenksstellung durch eine Arthrodese herbeizuführen.